Diagnostik  für Thromboembolie-Risiko

Erbliche Risikofaktoren für thromboembolische Erkrankungen und Atherosklerose

Die Inzidenz tiefer Becken- und Beinvenenthrombosen wird mit 1:1000 angegeben. An Lungenembolien als schwerster Komplikationen sterben in Deutschland jährlich 30.000 bis 40.000 Patienten. Etwa 0,5% der Erwachsenen entwickeln im Lauf des Lebens ein Ulcus cruris aufgrund eines postthrombotischen Syndroms (1). Auch das Auftreten von Schwangerschaftskomplikationen, wie Spätaborte und Infans mortuus, ist mit Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse assoziiert (2,3). Der Prävention von Thrombosen kommt somit ein hoher Stellenwert zu. Neben den anerkannten Empfehlungen zur Thromboembolie-Prophylaxe, die in den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (4) festgeschrieben sind, weisen die bis dato verfügbaren Daten auch auf einen günstigen Einfluss einer Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen auf den Schwangerschaftsausgang bei Frauen mit thrombophilen Defekten und habituellen Aborten hin (2).
Die Kenntnis darüber, ob eine angeborene oder erworbene (z.B. Antiphospholipid-Antikörper) Gerinnungsstörung vorliegt, kann für Prophylaxe und Therapie von Nutzen sein, da bei angeborenen Risikofaktoren ein lebenslang erhöhtes Thromboserisiko besteht. Eine frühzeitige Diagnostik besonders bei jüngeren Risikopatienten ist daher wünschenswert.

Etwa 40% der ungeklärten Thrombosen können heute auf Mutationen im Gerinnungssystem zurückgeführt werden. Die wichtigsten angeborenen Defekte sind die Faktor-V-Leiden-Mutation, die Prothrombin-Mutation G20210A und die Methylentetrahydrofolatreduktase-Variante A232V sowie seltenere quantitative und qualitative Defekte von Inhibitoren (Protein S, Protein C und Antithrombin III). Für die im folgenden beschriebenen hereditären Faktoren stehen zuverlässige molekulargenetische Tests zur Verfügung.

Faktor-V-Leiden (Synonyme: APC-Genotyp, FV Q506, FV R506Q, FV G1691A)
Die Prävalenz der Faktor-V-Leiden-Mutation beträgt ca. 5% in der europäischen Bevölkerung und ist somit der häufigste genetisch bedingte Defekt, der mit venösen thromboembolischen Erkrankungen assoziiert ist. Die Mutation Leiden im Faktor V-Gen (Nukleotidautausch G>A in Position 1691, Aminosäureaustauch Glu>Arg in Position 506) verhindert die Inaktivierung des Faktors Va mittels proteolytischer Spaltung durch aktiviertes Protein C (APC-Resistenz). Innerhalb der Gerinnungskaskade wird dadurch das Gleichgewicht zugunsten gerinnungsfördernder Faktoren verschoben. Etwa 90% der Patienten mit APC-Resistenz weisen den Faktor-V-Leiden auf (5). Die restlichen 10% sind bisher ungeklärt. Bei Patienten mit nachgewiesener APC-Resistenz wird die molekulargenetische Untersuchung zur Abklärung von Homo- bzw. Heterozygotie empfohlen.
Bei heterozygoten Trägern dieser Mutation ist das individuelle Thromboserisiko um den Faktor 5-10 erhöht, während bei homozygoten Defekten das Risiko nochmals um den Faktor 10 ansteigt. Dieses Risiko erhöht sich nochmals drastisch bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren wie z.B. Einnahme oraler Kontrazeptiva (etwa 30-50 fach für Heterozygote), Rauchen, fortgeschrittenes Lebensalter oder andere Defektzustände des Gerinnungssystems (6). Das Risiko für arterielle Thrombosen scheint nach bisherigem Kenntnisstand durch die Faktor-V-Leiden-Mutation nicht erhöht zu sein.

Prothrombin-Dimorphismus (Faktor II G20210A)
Ein Basenaustausch G>A an Nukleotidposition 20210 der nichttranslatierten 3`-Region des Prothrombin-Gens ist mit einem erhöhten Prothrombin-Spiegel assoziiert (10). Prothrombin ist die Vorstufe zu Thrombin, das an der Umsetzung von Fibrinogen zu Fibrin beteiligt ist und somit eine Schlüsselposition im Gerinnungsgeschehen einnimmt. Die Erhöhung verursacht deshalb ebenfalls eine Hyperkoagulabilität des Blutes.
Die Prävalenz der Prothrombin-Mutation beträgt ca. 2-3% in der europäischen Bevölkerung (8). Das individuelle Thromboserisiko erhöht sich bei Vorliegen der Mutation um den Faktor 3-4 für venöse Thrombosen. Homozygote Träger sind sehr selten und haben ein bis zu 50-fach erhöhtes Thromboserisiko. Bisher gibt es keine klaren Hinweise für die Beteiligung dieses Faktors an arteriellen thrombotischen Ereignissen, jedoch liegen erste Hinweise auf dessen Beteiligung an Myokardinfarkten bei jungen Frauen vor (9).

Methylentetrahydrofolatreduktase -Variante (MTHFR C667T, MTHFR A232V)
Bei der MTHFR-Defizienz handelt es sich um den häufigsten angeborenen Defekt im Folatstoffwechsel. Durch einen Basenaustauch C>T in Position 677 des MTHFR-Gens entsteht eine thermolabile Enzymvariante, die aufgrund des dadurch bedingten Funktionsverlustes einen verminderten Abbau des Zwischenproduktes Homozystein verursacht (10,11). Die Hyperhomozysteinämie als ein vom Gerinnungssystem unabhängiger Risikofaktor für periphere Thromboembolien, cerebrovaskuläre Erkrankungen und koronare Herzerkrankungen ist durch epidemiologische Studien belegt (12).
Die MTHFR-Variante kommt in homozygoter Form bei etwa 9-11% der europäischen Bevölkerung vor. Die Inzidenz heterozygoter Träger liegt bei 30-40% während sie in anderen Bevölkerungen (Asien, Afrika) selten ist.

Plasmin-Aktivator-Inhibitor 1 (PAI-1)

Mutationen im Promotorbereich des PAI-1 Gens sind mit einem erhöhten PAI-1-Plasmaspiegel assoziiert. Dieser geht einher mit venösen und arteriellen Gefäßerkrankungen. Homozxgote Träges des 4G-Allels weisen einen deutlich höheren PAI-1-Plasmaspiegel auf als 5G-homozygote Merkmalsträger und haben ein erhöhtes Thromboserisiko, welches mit der Immobilitätsdauer steigt. Für 4G-homozygote Frauen wurden zudem vermehrt Schwangerschaftskomplikationen und Aborte festegestellt.

 Anzumerken ist, dass die MTHFR-Variante per se einen Risikofaktor darstellt, der Homozysteinspiegel jedoch auch aufgrund genetisch unabhängiger Faktoren (z.B. ernährungsbedingter Mangel an Vitaminen B6, B12 und Folsäure) erhöht sein kann. Ein signifikant erhöhtes Thromboserisiko (2 – 4fach) konnte bislang nur für homo-zygote Merkmalsträger ermittelt werden, jedoch ist eine moderat erhöhte Homocystein-Serumkonzentration auch bei Individuen nachweisbar, die heterozygot für diese Variante sind. Eine Überprüfung des Homozystein-spiegels, des Folatstatus und der Vitamine B6 und B12 sollte bei genetischer Vorbelastung erfolgen. Die Auswirkungen dieser Gen-Variante kann durch die Gaben von Folsäure, Vitamin B6 und B12 gut therapiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass das Risiko für koronare Herzerkrankungen durch die Gaben o.g. Vitamine signifikant verringert werden kann.

Träger von Kombinationen erblicher Thrombophilie-Faktoren – eine besondere Risikogruppe
Fall-Kontroll-Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Patienten mit Kombinationen mutanter Allele der hier beschriebenen genetischen Marker unter den Thrombophilie-Patienten stark überrepräsentiert sind.
15-40% der Thrombosepatienten, die heterozygote Träger der Faktor-V-Leiden-Mutation sind, sind z.B ebenfalls heterozygot für die Prothrombin-Mutation G20210A (8). Diese Konstellation erhöht das Risiko nochmals um das 2-3-Fache. Danach scheint ein frühes Auftreten von Thrombosen und eine erhöhte Rate von Re-Thrombosen mit einem kombinierten Gendefekt assoziiert zu sein. Weitere häufige Risikoallele wie z.B. die MTHFR- Variante (13) sowie die seltenen genetisch bedingten Mangeldefekte einiger Inhibitoren (Protein S, Protein C und Antithrombin III) tragen kumulativ zum Thromboserisiko bei. Der Erfassung von Patienten mit kombinierten Defekten kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Es ist zu beachten, dass das Thrombose-/Thrombophilie-Geschehen multifaktoriell bedingt ist und die genetischen Risikofaktoren eine Prädisposition darstellen, die zusammen mit den bekannten exogenen Risikofaktoren der Thrombose (Immobilität, Kontrazeptiva, Rauchen usw.) das Gesamtrisiko ausmachen.

Indikationen zur molekulargenetischen Abklärung der relevanten Mutationen

  • Patienten mit Thrombosen
  • Bekannte Defektzustände des Gerinnungssystems
  • Patienten mit APC-Resistenz oder grenzwertigen
  • Befunden der APC-Resistenz
  • Patienten mit erhöhtem Prothrombinspiegel
  • Belastete Familienanamnese für Thromboembolien bzw. koronare Herzkrankheiten
  • Personen mit erhöhtem Thrombose- und/oder. Atherosklerose-Risiko
  • Einnahme von oralen Kontrazeptiva besonders in Verbindung mit Zigarettenrauchen
  • Patientinnen vor oraler Östrogensubstitution in der Menopause
  • Risikoschwangerschaften (habituelle Aborte, Z.n. Spätabort, Präeclampsie, HELLP-Syndrom) Untersuchung der direkten Verwandten bei vorliegenden Risikoallelen

Literatur:
(1) Nicolaides et al. (1997) Int Angiol 16:3
(2) Pauer et al. (2001) Reproduktionsmedizin 17:42
(3) Martinelli et al. (2000) N Engl J Med 343:1015
(4) Partsch und Blättler (2000) Phlebologie 29:106
(5) Witt et al. (1998) Clin Lab 44:569
(6) Rosendaal et al. (1996) Thromb Haemost 75:524
(7) Witt et al. (1997) Clin Lab 44:61
(8) Poort et al. (1996) Blood 88:3698
(9) Rosendaal et al. (1997) Blood 90:1747
(10) Frosst et al. (1995) Nat Genet 10:111
(11) Kang et al. (1991) Am J Hum Genet 48:536
(12) Margaglione et al. (1998) Thromb Haemost 79:907
(13) Glueck et al. (1997) Metabolism 46:1470

Anforderung
Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Dimorphismus, MTHFR-A223V-Mutation

Untersuchungsmaterial